„Ich bin dann mal weg“ (H. Kerkeling) und nehme viele gute Erinnerungen mit.

Trotzdem ich bereits im Rahmen des Abiturgottesdienstes 2021 und gemeinsam mit anderen Kolleg*innen am Schuljahresende, aber auch innerhalb des Religionsunterrichts von meinen Schüler*innen verabschiedet wurde, sage ich heute noch einmal herzlichen Dank für die wunderbaren 11½ gemeinsamen Jahre und die vielen schönen Geschenke zu meiner Verabschiedung.

Mir ist der Abschied zunächst recht schwergefallen, weil das Schwalmgymnasium aus meiner Sicht eine ganz besondere Schule ist, ein Ort, an dem man gern arbeitet und eine Gemeinschaft, zu der man dazu gehören möchte, denn Werte wie Toleranz, Offenheit und Zusammenhalt spielen hier eine wichtige Rolle. Bildlich ausgedrückt sind sie der Kitt, mit dem am SG gebaut wird, das möchte ich abschließend zur Sprache bringen:

Offenheit und Toleranz seitens der Schule ermöglichten mir 2010 den Start als Schulpfarrerin im Schwalmgymnasium. Dr. Bernsmeier, der damalige Schulleiter, schenkte mir sein Vertrauen, obwohl ich damals bereits 56 Jahre alt war und Herr Siesenop und Herr Rehbein, die beiden nachfolgenden Schulleiter, setzten sich dafür ein, dass ich über die Regelaltersgrenze hinaus im SG arbeiten konnte. Rückblickend wurden mir besonders im Bereich Seelsorge viele Spielräume eingeräumt, die ich gerne genutzt, aber nicht ausgenutzt habe. Mir war es wichtig, für alle Schüler*innen, aber auch für Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen der Schule ansprechbar zu sein. In der Funktion als Religionslehrerin genoss ich das Privileg, jedes Jahr die ganze Bandbreite, von Klasse fünf bis zum Abitur, unterrichten zu können. Die Schüler*innen der 5. und 6. Klassen sind noch ohne Vorbehalte offen und wissbegierig, dadurch ergeben sich häufig gute Gespräche zwischen Tür und Angel, ab der 7. und 8. Jahrgangsstufe sind die meisten eher mit sich und der Gruppe beschäftigt, deshalb habe ich mich immer gefreut, wenn ich als Begleitperson an der zehntägigen Wanderfreizeit nach Berchtesgaden teilnehmen durfte, so bot sich die Gelegenheit, Schüler*innen und Kollegin*innen noch einmal von einer anderen Seite kennenzulernen. In der Oberstufe nimmt die Entwicklung Einzelner so richtig Fahrt auf, viele Schüler*innen haben bereits konkrete Zukunftspläne und sind dabei, einen eigenen Wertekanon aufzustellen, wobei der Religions- und Ethikunterricht hilfreich sein kann.  

In all den Jahren am SG wurde ich getragen vom Zusammenhalt innerhalb der Fachschaft Religion, aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Fach- und Arbeitsbereichen hat gut funktioniert. Beispielsweise werden die neuen Schüler*innen der 5. Klassen in einem feierlichen Gottesdienst in der Stadtkirche in Treysa empfangen und die Abiturient*innen mit Gottes Segen am Ende ihrer Schulzeit entlassen. Ein Gemeinschaftswerk der Religionslehrkräfte ist auch der „Raum der Stille“, heute dient er als beliebter Rückzugsort inmitten des Schulalltags.

Im Laufe der Zeit entwickelte ich eine besondere Vorliebe für Projektarbeit, drei habe ich allein in den letzten drei Jahren angeboten. Dies war möglich, weil die Zusammenarbeit in der Schule sehr gut funktioniert.  Angestoßen vom Evangelischen Forum Schwalm-Eder arbeiteten z.B. Schüler*innen aus meinem Religionskurs Klasse 9 an dem Thema: „Vor 80 Jahren – Kindertransporte nach England.“ Die „Trilogie“ (Stolpersteinverlegung, Nachmittag der Begegnung, Ausstellung) befasste sich mit dem Leben von Doris Mathias, die als Neunjährige Treysa verlassen musste, um vor den Nationalsozialisten gerettet zu werden. Ihre Eltern schickten sie 1939 auf einem Kindertransport nach England. Nach aufwändiger Recherchearbeit zum Thema Kindertransporte, zum jüdischen Leben in Treysa vor und während der NS-Zeit, sowie zur Biografie von Doris Mathias und deren Familie, entstanden drei Veranstaltungen:  Zunächst fand im Mai 2019 die Verlegung der Stolpersteine für Familie Mathias statt, unser Beitrag aus der Projektgruppe wurde von Frau Dr. Sievers und ihren Schüler*innen musikalisch begleitet. Anschließend initiierten wir im Juni den „Nachmittag der Begegnung“ im Schwalmgymnasium, 27 Nachfahren von Doris Mathias waren aus England, Israel und den USA eigens dafür angereist. Dieses Ereignis blieb nicht ohne Auswirkungen. Plötzlich meldete sich eine längst verschollen geglaubte Freundin und eine ehemalige Nachbarin von Doris M. und die Großmutter eines Schülers fungierte als Zeitzeugin, denn sie hatte die Familie Mathias noch persönlich gekannt. Parallel zum „Nachmittag der Begegnung“ lief eine Ausstellung in der Schule, in der die einzelnen Stationen aus dem Leben und der Heimat von Doris Mathias in Szene gesetzt wurden.

Alles in allem waren viele helfende Hände nötig, um das Projekt auf die Beine zu stellen: Beispielsweise haben Englischlehrer*innen (Frau Dr. Sievers, Frau Meschede, Frau Stei und Herr Friedrich) gedolmetscht oder Schüler*innen beim Übersetzen und bei der Korrespondenz mit den Angehörigen geholfen. Der ehemalige Geschichtslehrer, Herr Lindenthal, zeigte uns die Stolpersteine in Treysa und Herr Naglik, Geschichts- und Ethiklehrer, führte die Angehörigen von Doris M. über den jüdischen Friedhof der Stadt. Frau Jarosch von Schweder und Frau Neiber haben Schüler*innen beim Porträtzeichnen beraten. Für die Ausstellung stellte uns Frau Pitz-Kunze Ideen und Kunstobjekte aus ihrem Repertoire für die Ausstellung zur Verfügung. Die PoWi-AG von Frau Hellmig und der Leistungskurs Geschichte von Frau Meschede unterstützten uns am Nachmittag der Begegnung mit eigenen Beiträgen. Hilfe bekamen wir auch von Frau von Schenk aus der Mediathek und von Frau Schmidt aus der Cafeteria, die für das leibliche Wohl der Gäste sorgten. Frau Langstroff mit ihrem Serviceteam und Herr Bambey organisierten den Auf- und Abbau in der Mensa. Erwähnenswert sind zudem einzelne Schüler*innen, die ihren Beitrag für die Ausstellung geleisteten, z.B. porträtierten Patricia Klagholz und Jasmin Strubel (damals Klasse 8) Doris Mathias, Michelle Schaller und Johanna Grünemei (Abiturientinnen) zeichneten Episoden aus der Reichspogromnacht in Treysa und Jakov Kellermann (Abiturient) schrieb einen Beitrag zu den Kibbuzim in Israel.

Es gäbe noch viel zu berichten, aber nun ist es an der Zeit, die Arbeit in andere Hände zu legen. Ich freue mich das Staffelholz an Pfarrerin Monika Dieling weiterzureichen, sie ist bereits seit dem 01. August 2021 die neue Schulpfarrerin im Schwalmgymnasium, während ich künftig Wanderin zwischen zwei Welten sein werde, zwischen Freizeit und Studium - zwischen Fritzlar und Berlin. Zunächst genieße ich meine neu gewonnene Freiheit, aber ab Oktober beginne ich mit dem berufsbegleitenden Masterstudiengang „Biografisches und Kreatives Schreiben“ an der ASH-Berlin, einer staatlichen SAGE Hochschule (Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung), um künftig professionell als Schreibpädagogin arbeiten zu können. Aufgrund der guten Erfahrungen im SG bin ich zuversichtlich, wiederum auf offene und tolerante Mitmenschen zu treffen, mit denen es sich gut zusammenarbeiten lässt.

Ich wünsche meiner Nachfolgerin, Frau Dieling und dem neuen Schulleiter, Herrn Cimiotti, einen gelungenen Anfang im Schwalmgymnasium und allen Schüler*innen und Mitarbeiter*innen einen guten Start in das neue Schuljahr 2021/22.

Herzliche Grüße,

Elfriede Liebau-Holstein